"Vom Leben reich beschenkt" - so heißt der autofiktionale Roman der Psychotherapeutin Hildegard Haehn. Mir gefällt schon das Cover. Es zeigt einen Baumstamm in Rot-Grün-Gelb-Tönen, ohne Blätter, aber mit reichlich Wurzeln. Auf der Rückseite sieht man diesen Baum noch einmal, nur auf den Kopf gestellt, und siehe da: Das geht ebensogut und zeigt, wie gut es sein kann, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten.
In den Mittelpunkt der spirituell geprägten Geschichte hat die Autorin Elphi gestellt, die sich während ihrer lebenslangen Suche nach der unbändigen Freude, die sie aus Kindertagen kennt, schließlich zu einem uneingeschränkten JA zum Leben und zur Liebe bekennt, aber auch zum Tod - sogar zum Freitod ihres Sohnes und zum Freitod ihres Bruders. "Durch Daniels Tod durfte ich erfahren, dass Getrenntsein eine menschliche Täuschung ist, es existiert nur Verbundenheit, eins mit Menschen, eins mit der Natur, ein mit dem gesamten Kosmos" erzählt Elphi und auch davon, dass während der Verbrennungszeit ihres Sohnes, während derer sie Hand in Hand mit Freunden auf dem Rasen vor der Leichenhalle stehend den Sonnengruß sabg, ihr verstorbener Sohn spürbar dabei gewesen sei. Was sie in einer Gänsehautszene zeigte: "Plötzlich hörte ich Jonas laut rufen: Mama, Mama, guck mal! Ich öffnete die Augen und folgte seiner Handbewegung, die auf den Himmel zeigte. An die fünf bis sechs Greifvögel bildeten einen Kreis am Himmel. Einer der großen Vögel sonderte sich von der Gruppe ab und zog seine Kreise genau über uns. Unfassbar und doch so offensichtlich, Daniel war spürbar mit uns."
Das sehr lebendig, sensibel und anschaulich geschriebene Buch soll zeigen, welch transformierende Kraft in Schicksalsschlägen liegen kann - eine Haltung, die ich aus eigenem Erleben nur bestätigen kann. Es soll eine Mut machende Hilfe für alle Menschen sein, die bereit sind, ihre eingeschränkte Sicht von sich selbst, der Welt, der Liebe und dem Tod in Frage zu stellen. Dass das Werk, das von Gesprächen zwischen zwei Therapeutinnen, Elphi und der Autorin, getragen wird, mit ganz viel Herzblut geschrieben wurde, erkennt man auf jeder Seite. Dass Elphi hier stellvertretend steht für die Autorin selbst, erscheint naheliegend. Das Konstrukt des therapeutischen Gespräches erscheint mir zwar entbehrlich, ja, das unmittelbare Miterleben des Geschehens hätte mir besser gefallen, wäre mir noch intensiver erschienen, aber das ist letztlich Geschmackssache. In jedem Fall nimmt uns das, war wir hier erfahren, mit. Es macht nachdenklich und bringt immer wieder zu der Frage zurück, wofür wir dankbar sein dürfen.
Die Autorin: Hildegard Haehn ist Psychotherapeutin mit jahrzehntelanger Erfahrung. In ihrer Praxis bietet sie auch Meditation und Freie Systemische Aufstellungen an. Zuvor arbeitete die diplomierte Pädagogin als Volksschullehrerin und Schulpsychologin.
Hildegard Haehn, Vom Leben reich beschenkt, Ein Autofiktionaler Roman, 298 Seiten, Paperback, 14,95 Euro, Books on Deand Juli 2020.
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