Das Cover ist ein Hingucker. Es wirkt altmodisch. Die junge Frau, deren Porträt da gezeigt wird, stammt erkennbar aus einer anderen Zeit. Da ich Irmgard Keun bisher nicht kannte, erwartete ich so eine Art Kitschroman und wunderte mich, dass so etwas neu aufgelegt wird. Bald aber wurde ich eines Besseren belehrt. "D-Zug dritter Klasse", 1938 zum ersten Mal erschienen, erweist sich als vielschichtiger Roman. Er ist romantisch, nostalgisch, tragikomisch, kritisch - alles auf einmal.
Die Haupthandlung findet in einem Zugabteil 3. Klasse statt. Die Hauptfigur, Lenchen, ebenso naiv wie liebenswert und sehr nah am Wasser gebaut, ist mit ihrem Freund Dr. med. Karl Bornwasser unterwegs. Mit Männern hatte sie bisher nicht allzu viel Glück. Zudem hat sie gleich drei Heiratskandidaten im Rennen, die nichts voneinander wissen. Von keinem vermag sie sich so recht zu lösen. Mit im Zug sitzt ihre leicht verrückte Tante, die von Stunde zu Stunde, während derer der Zug Richtung Paris fährt, verrückter zu werden scheint. Sie wird ebenso wie die übrigen Mitreisenden nach und nach so geschickt vorgestellt, dass sich die Handlung und die verschiedenen Beziehungen und Verflechtungen wie eine Blüte entfalten. Karl hat Leni den Auftrag erteilt, für ihn 9.000 Reichsmark über die Grenze zu schmuggeln. Und dann wäre da noch Albert, ein junger Mann, der mit einem Heckenrosenstrauß und einem Koffer voller Äpfel reist. Ein neuer Liebeskandidat?
Eine unterhaltsame, charmante Lektüre, die bis zum Schluss spannend bleibt und zugleich beruhigt und entschleunigt.
Die Autorin: Irmgard Keun (1905 - 1982) feierte mit ihren ersten beiden Romanen sensationelle Erfolge. Im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit geriet sie ein wenig in Vergessenheit, Ende der 1970er-Jahre wurde sie von einem breiten Publikum wiederentdeckt. Heute zählt sie zu den wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts.
Irmgard Keun, D-Zug dritter Klasse, Roman, Paperback, Ullstein-Verlag, 135 Seiten, 10,99 Euro.
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