Donnerstag, 30. März 2017

Lauthalbs leben - mit einem behinderten Kind in einer gemeinsamen Welt

Wie die meisten Mütter freute sich auch Julia Latscha sehr auf die Geburt ihres ersten Kindes - auch wenn die Schwangerschaft nicht geplant gewesen war, nachdem sie Sebastian, den werdenden und ebenfalls vorfreudigen Vater, erst ein Jahr zuvor kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt hatte. Von jetzt auf gleich wurde am Ende der Schwangerschaft alles anders. Die Herztöne des Kindes gaben Anlass zu Besorgnis und die Rückenmarkspritze zu Beginn der Geburt wurde von einer Vollnarkose abgelöst, nachdem die Ärze den Notfalknopf gedrückt hatten und plötzlich alles eilte und hetzte.

Als Julia Latscha, die Autorin des Buches "Lauthalb leben - Von Lotte, dem Anderssein und meiner Suche nach einer gemeinsamen Welt", zu sich kam, war ihr großer Bauch verschwunden, doch sie hielt nicht ihr neugeborenes Baby im Arm, wie sie sich das schon so lange erträumt hatte. Die kleine Lotte kämpfte auf der Intensivstation um ihr Leben, musste mehrmals reanimiert werden. Doch sie zeigte, dass sie eine Kämpfernatur war. Die kleine Lotte wollte leben - und Julia und Sebastian wollten mit ihr leben.

Die Diagnose stand bald fest: spastisch-athetotische infantile Cerebralparese, verbunden mit zahlreichen problematischen Befunden. Oppositionelles Trotzverhalten, Störung des Schlaf-wach-Rhythmus und symptomatische Epilepsie waren nur einige davon. Manchmal wünschten sie sich später, Lotte möge weniger laut und häufig schreien, aber sonst sollte sie genau so sein, wie sie nun einmal war. Das änderte sich auch nicht, als später Lottes Bruder zur Welt kam, der seine Schwester, die zwar ohrenbetäubend brüllen, aber auch ansteckend lachen kan, bald ebenso akzeptierte und liebte wie seine Eltern.

Mit farbigen Worten beschreibt Latscha die Freuden und Herausforderungen, die das Leben mit einem behinderten Kind mit sich bringt. Erzählt von Hoffnung auf Heilung - in Lourdes und anderswo, von Lottes überraschenden Fähigkeiten, die man so leicht übersehen könnte. Selbst Mutter eines seit 20 Jahren schwerbehinderten Sohnes, kann ich sehr gut nachempfinden, was sie fühlt. Aber auch wer nicht persönlich betroffen ist, wird Gewinn ziehen aus der Lektüre dieses spannend geschriebenen Buches. Gut gesetzte. berührende Worte lesen, viele Bilder vor sich sehen, die aus Worten gespeist werden, wie

  • "Lautlos glitt der Ultraschallkopf darüber. Auf dem BIldschirm sah ich hohe Wellen, die gegen Felsen schlugen. Ungetüme aus endlosen Tiefen auftauchen. Die Weltmeere schienen zu beben."
  • "Mit seinen Fingern strich er durch mein Gesicht und verteilte gerecht die verlaufende Schminke."
  • "Sie haben eine hübsche Tochter ... Lotte trägt ein buntes Sommerkleid. Ihr blonder Pferdeschwanz schwingt zu den Bewegungen ihrer Arme."
  • "Sebastian ist ausgezogen. Die Kinder leben abwechselnd bei mir und bei ihm."
  • "Das Loslassen fällt mir schwer. Lotte ist noch ein Kind. Mein Kind. Unser Kind."
Die Autorin: Eigentlich wollte Julia Latscha einmal als Entwicklungshelferin in fernen Länden arbeiten. Daraus wurde nichts. Statt dessen half die gelernte Physiotherapeutin und studierte Philosophin vor Ort und setzte sich besonders für ihre Tochter und für Inklusion ein. Sie lebt heute mit ihren Kindern Lotte und Kasimir in Berlin.

Julia Latscha, Lauthals leben - Von Lotte, dem Anderssein und meiner Suche nach einer gemeinsamen Welt, Knaur-Verlag 2017, gebunden mit Schutzumschlag, 201 Seiten, 19,99 Euro.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen