Schon mal in ein weißes Blatt gesprungen? - "Der Sprung ins weiße Blatt" von Cornelia Jönsson widmet sich der "Kunst, Romane zu schreiben und trotzdem das Leben zu genießen". Wäre das nicht toll, wenn das wirklich ginge? Bei mir ist es seit Jahren so, dass ich endlich, endlich einen meiner angefangenen Romane zu Ende schreiben will oder sehr gern wenigstens wieder mal einen neuen beginnen würde, aber irgendwie komme ich nicht dazu. Also werfe ich einen Blick in das Buch. Könnte ja sein, dass es hilft ...!
Es hilft, zunächst einmal insofern, als das Lesen einfach gut tut. Vom ersten Kapitel - ein Vorwort gibt es nicht, aber dieses könnte als solches taugen - bin ich schon einmal begeistert. Die Autorin schreibt von ihrer Mutter, die liest und liest und liest. Man sieht sie beständig lesend vor sich, auf dem Sofa herumlümmelnd, während der Fernseher läuft, beim stundenlangen Föhnen ihrer längst trockenen Haare, beim Genuss einer "allerersten Seite in der herrlichen Stille, kurz bevor das Haus erwachte". Wen wundert es da, dass diese Mutter auch quasi immer schon schrieb. Und dass die Tochter sich, solange sie zurückdenken kann, danach sehnte zu schreiben, um nicht an ihrer "Fantasie zu ersticken", vor allem, als sie noch gar nicht schreiben konnte.
Das erste Kapitel endet, wie alle anderen, mit Vorschlägen für Übungen. Besondere Übungen, die mir gefallen, wie etwa
- einen Text zu schreiben über die Unterstützung, die wir, unser Schreiben betreffend, durch andere Menschen erfahren haben - und schon fällt mir so manches ein, worüber ich dankbar sein könnte
- darüber zu schreiben, was sich in meinem Leben verändern würde, wenn ich nie wieder schriebe - ein erschreckender Gedanke!
- die ganz persönliche Schreibformel zu entwickeln, basierend auf der Variablen Zeit - wobei ich lerne, dass die Zeit das geringste Problem sei, brauche man doch keine zehn Minuten, um, wild darauf losschreibend, eine Seite zu füllen, womit ich an einem 250-Seiten-Buch maximal 2500 Minuten lang schreiben müsste, was etwa einer einzigen 40-Stunden-Woche entsprechen würde - was für ein faszinierender Gedanke ...!
Ein tolles Buch - was nicht zuletzt an der Schreibe der Autorin liegt. Hier ein Beispiel: "Weißt du, wie es ist, in den Sonnenaufgang hinein zu schreiben? Weißt du, wie es sich anfühlt, die Nacht durchzuschreiben? Zu schreiben, während das Abendbrotgeschirr in fremden Wohnungen klappert, zu schreiben, während Vergnügungseifrige die Straßen entlang schlenderrn, zu schreiben, während in den Club die Türen öffnen, kleine Kinder sich auf leisen Sohlen ins elterliche Bett schleichen, Liebende erschöpft auseinander sinken, während die Nacht dunkel und traumschwer wird, die Straßen ruhiger, die Sterne heller, um im frühen Vogelkonzert vorm Erröten des Himmels dich selbst noch einmal zu einem letzten Höhenflug anzutreiben, bevor du dann, wenn dir die Sonne in die Augen sticht, ins Bett wankst, müde aber randvoll mit dem Glück der Schaffenden? Wie fühlt sich das an?" ... - Da sage noch mal jemand etwas gegen Bandwurmsätze ...!
Ernüchternd aber doch nicht entmutigend wirkt das Kapitel "Bei Wasser und Brot: Schriftsteller sein und trotzdem überleben".
Wann immer ich einen neuen Schreibratgeber lese und erkenne, wie sehr ich mich verwandt fühle mit der Seele anderer Schreibender, frage ich mich, wie man überhaupt leben kann, ohne zu schreiben ...! Und inzwischen - kleines Update zu dieser vor Jahren geschriebenen Rezension - schreibe ich mit Feuereifer an meiner Biografie, stehe kurz vor dem Abschluss und blogge darüber - in einem vielgelesenen Blog. :-)
Die Autorin: Cornelia Jönsson hat Theaterwissenschaft und Philosophie in Wien und Berlin studiert, außerdem Psychologie an der FU Hagen; Ausbildung zur systemischen Therapeutin. Die Walter-Kempowski- und Leonard-Franck-Preisträgerin ist Autorin von Romanen, Erzählungen, Sachbüchern, Theaterstücken und Dozentin für Kreatives Schreiben.
Cornelia Jönsson, Der Sprung ins weiße Blatt - Von der Kunst, Romane zu schreiben und trotzdem das Leben zu genießen, Autoren-Haus Verlag 2017, Hardcover, 218 Seiten, 19,99 Euro.