Samstag, 8. September 2018

Als Hochbegabter seit 30 Jahren aus blinder Liebe in den USA in Haft: Jens Söring

Fühlen Sie sich frei? Sind Sie frei? Und sich des Glücks dieser Freiheit bewusst? Das sollten Sie, denn Freiheit ist nicht selbstverständlich. Was aber, wenn man sich freiwillig in Unfreiheit begibt, aus blinder Liebe, und dafür seit fast 30 Jahren büßen muss? So ging und geht es Jens Söring. Als 1966 in Bangkok geborener Deutscher wuchs er als Sohn eines Diplomaten in den Vereinigten Staaten auf. Dort sitzt er nun seit rund drei Jahrzehnten im Gefängnis. Der Grund: Um seine damalige Freundin vor der Todesstrafe, vor dem elektrischen Stuhl, zu bewahren, legte er ein falsches Geständnis ab, davon überzeugt, dass er selbst als Sohn eines Diplomaten Immunität genieße.

Die Folge war fatal: eine Verurteilung zu zweimal lebenslänglicher Haftstrafe. Bis heute kämpft er um seine Freiheit. In seinem Buch "Zweimal lebenslänglich" erzählt er von dem Fehler, der ihn die Zukunft kostete, und von der Hoffnungslosikgeit des amerikanischen Haftalltags. Er zählt bis heute die Tage und Stunden seiner Haft. Seine Welt ist klein: eine Tür, ein Fenster, ein Metallschrank, ein Etagenbett, ein Waschbecken, eine Toilette, ein Stuhl, zwei Plastikboxen. Das ist alles. Sein Deutsch ist nicht mehr flüssig. Seit 1996 darf er keine deutschen Zeitungen mehr lesen - "aus Sicherheitsgründen". Es gab Zeiten, da wollte er kein Radio mehr hören, weil er die Geräusche des Lebens nicht ertrug. Es gab Zeiten, da wollte er keine Filme mehr sehen, weil er die Bilder des Lebens nicht ertrug. Da war Steakhouse-Werbung Folter für ihn, weil er seit fast 30 Jahren kein echtes Fleisch mehr gegessen hatte.

An der Universität Virginia, für die er ein Hochbegabtenstipendium bekommen hatte, hatte er die "verführerische, verkorkste Elizabeth Haysom" kennengelernt, die heute wegen Anstiftung zum Mord an ihren Eltern im Gefängnis sitzt. Er soll die Tat begangen haben. Seit 1990 ist er inhaftiert. Auch 2009 aufgetauchte, ihn entlastende DNA-Spuren führten nicht zu seiner Freilassung. Immerhin lebt er, obwohl er eine Weile davon ausgehen musste, selbst hingerichtet zu werden. Aber ist das nach all dieser Zeit wirklich noch ein Trost, wenn einen allein schon die Monotonie des Gefängnisalltags verrückt macht? "Die meisten Häftlinge werden nach etwa zwanzig Jahren verrückt", schreibt Söring. Ihm gehe es besser. Er habe immer noch Hoffnung. Das habe ihn geistig gesund gehalten. Er sitzt im Aufenthaltsraum an seinem "Morgentisch", den alle anderen auf seinem Flur akzeptierten, damit er an seinem nächsten buch schreiben konnte. "Verglichen mit den anderen 2,38 Millionen Häftlingen in den USA, geht es mir wirklich gut. Ich bin ein Gesegneter."

Jens Söring hatte während seiner Haft begonnen, Bücher zu schreiben. 2016 kam der Dokumentarfilm "Das Versprechen - die wahre Geschichte von Jens Söring und Elizabeth Haysom" in die deutschen Kinos.

Jens Söring - Wie ich seit drei Jahrzehnten für meine Freiheit kämpfe, Knaur-Verlag 2012, vollständige Taschenbuchausgabe 2016, 407 Seiten, 10,99 Euro.


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