"1949 - Das lange deutsche Jahr" - so heißt das Buch von Christian Bommarius, das sich mit dem Jahr der doppelten Staatsgründung und dem so schwierigen Beginn der zweiten Demokratie auf deutschem Boden auseinandersetzt. Es könnte sich unter so manchem Weihnachtsbaum von politisch und historisch interessierten Menschen sehr gut machen. Bommarius ist ein lebendiges, detailreiches Panorama der Nachkriegsjahre gelungen. Monat für Monat, beginnend im Juli 1948, endend im Dezember 1949,
beschreibt der Autor deutlich und anschaulich, was Sache war. Zunächst
jeweils in einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Vorkommnisse,
dann en detail und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Er präsentiert Episoden aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Alltagsleben und lässt zahlreiche Menschen lebendig werden in ihrer Zerrissenheit, in ihren Ängsten, Ansprüchen und Hoffnungen.
Der Stoff ist brisant und sollte mehr als lehrreich sein für die aktuelle politische Situation. Haben wir gelernt? Werden wir noch lernen? - Der nationalistische Geist der Deutschen war drei Jahre nach Kriegsende nicht einfach verschwunden. Eine große Mehrheit bekannte sich zu ihrem "Volktum". Nicht unbedingt ideale Voraussetzungen für eine junge Demokratie. "Wir haben keine Alternative. Die Deutschen müssen leben", heißt es im Vorwort des vorliegenden Buches als Auszug der Rede von US-Militärgouvernerur Lucius Clay an amerikanische Erzieher in Deutschland. "Was sie mit diesem Potenzial tun, hängt davon ab, was es ihrem Herzen und ihrem Geist bedeutet. Auf Ihnen ruht die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass ihre Herzen und ihr Geist es zum allgemeinen Wohl gebrauchen und nicht, wie bisher so oft, zu Angriffszwecken."
Endlich Frieden und doch Probleme zuhauf. Der Kalte Krieg ließ so manchen von einem Dritten Weltkrieg ausgehen. Nach der Währungsreform gab es in den Läden zwar endlich wieder volle Regale, bald darauf jedoch bei den Bürgern schon wieder leere Geldbörsen. Der Hunger war noch lange nicht verschwunden aus deutschen Mägen. Es gab sehr viel zu tun, doch die Sache mit der Demokratie gestaltete sich alles andere als einfach. Andererseits wurde die Bundesrepublik Deutschland gebraucht - von den drei westlichen Besatzungsmächten - als "Bollwerk gegen den Bolschewismus". Studenten gingen auf die Barrikaden, Professoren, die sich vor nicht
allzu langer Zeit flammend zu Hitler bekannt hatten, spuckten plötzlich
andere Töne. Entlassene Beamte wurden auch ohne weiße Weste wieder eingestellt, weil man irgendwann die Sache mit dem Nationalsozialismus endlich ruhen lassen wollte.
Ein furchtbarer Krieg und seine Folgen mussten irgendwie verarbeitet und eingeordnet werden. Ein Grundgesetz musste ersonnen, durchdacht und formuliert werden. Längst nicht jeder der international noch Jahre nach Ende des Hitler-Krieges allgemein als eher unsympathisch eingestufte Deutschen interessierte sich dafür, als es endlich erschien.
Alles in allem: Eine spannende, hoffnungsvolle und zugleich zutiefst verunsichernde Zeit. Ein gutes Buch.
Der Autor: Christian Bommarius, Jahrgang 1958, studierte Germanistik und Rechtswissenschaft. Nach journalistischen Stationen, etwa als Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht, war er von 1998 bis 2017 Redakteur der Berliner Zeitung. Seit 2018 ist er Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. Für sein publizistisches Werk wurde er mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet.
Christian Bommarius, 1949 - Das lange deutsche Jahr, Droemer-Verlag 2018, gebunden mit Schutzumschlag, 320 Seiten 19,99 Euro
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen