Samstag, 15. Dezember 2018

Ein Psychogramm der arabischen Seele von Burkhard Hofmann

Es ist mir wichtig, andere Menschen so gut wir möglich zu verstehen. Dass es eine Anmaßung wäre, sich einzubilden, ich verstünde sie wirklich, ist klar. Aber ich möchte wenigstens so viel wie möglich wissen, um möglichen Vorurteilen die Spitze zu nehmen und die richtige Richtung einzuschlagen. Nun ist mir das Buch "Und Gott schuf die Angst" von Burkhard Hofmann begegnet. Der Untertitel: "Ein Psychogramm der arabischen Seele".

Als Pressefrau war ich mehrmals zum Fastenbrechen in die hiesige Moschee eingeladen. Privat war ich beim Tag der offenen Tür in der Hamburger Moschee. Ich habe Flüchtlinge aus dem arabischen Raum im Rahmen eines Alphabetisierungskurses unterrichtet. Im Ganztagsbereich unterrichte ich auch arabische Kinder. All das hat mein Interesse geweckt. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich mehr erfahren als das, was man mir bisher - in mehr oder weniger gebrochenem Deutsch - mitgeteilt hat.

Schon bald bin ich vertieft in das Buch und tauche ein in eine andere Welt, erfahre im Rahmen von zehn Fallbeispielen spannende Geschichten aus einer noch immer durch das Zusammenleben in Großfamilien organisierten Gesellschaft, in der seelische Probleme eher als das reibungslose Funktionieren störend empfunden und mit Medikamenten weggepustet werden. Vorgestellt werden verschiedene psychische Problembereiche und deren Ursachen. Da ist zum Beispiel die Geschichte des "zugedröhnten Narziss", eines in Hamburg behandelten arabischen Klienten, bei dem Hofmann sich zunächst zusammennehmen muss, um ihm die nötige Empathie entgegenbringen  zu können. Es handelt sich um einen Mann aus wohlhabendem Haus, der seine Frau, eine Cousine, die er als intelligente Karrierefrau zunächst bewundert, vor allem aus Rache wegen einer verschmähten Liebe geheiratet hat. Nun hat sie einen Säugling, sein Kind, das er nicht lieben kann. Mutter und Kind sind mit allen möglichen Bediensteten versorgt, aber beide Eheleute sind unglücklich. Die Chemie passt nicht, die Situation eskaliert immer mehr. In Wirklichkeit nämlich liebt der erfolgreiche Investmentmanager seine Freundin. Die aber ist als Polizistin und Schiitin von ihrem Stand und ihrer Religion her gesellschaftlich inakzeptabel. Er seinerseits will nicht all seinen Wohlstand aufs Spiel setzen. "So weit eine ganz normale Geschichte aus dem großen Topf des menschlichen Lebens", scheibt Hofmann, der sich zugleich fragt, wie man gerade in solch einem Umfeld mit einer "für alle Beteiligten nur unter Schmerzen" lösbaren Situation umgehen soll.

Von den persischen oder ägyptischen Psychiatern wird der Mann, der behauptet, ohne Medikamente 72 Stunden lang nicht schlafen zu können, so wie es in arabischen Ländern bei psychischen Störungen nicht unüblich ist, wegen seiner schwerwiegenden Depression mit Psychopharmaka abgefüllt - mit fünf verschiedenen zugleich. Dazu kommt eine Selbstmedikation mit Alkohol, Nikotin und zeitweise mit Haschisch. Im Laufe der schwierigen Behandlung - der Klient zeigt ein starkes Vermeidungsverhalten - kommt Hofmann schließlich an die Wurzel des Übels heran und es gelingt ihm, dem 30jährigen, seit seiner Kindheit emotional vernachlässigten Spätpubertären, der vom Hauptberuf her verwöhnter Sohn ist, in Richtung Selbstfindung zu bewegen. ...

Das Buch berichtet von der immensen Bedeutung des Glaubens an Allah, die bei den Gläubigen alles andere überstrahlt - auch wenn "normale" Bedürfnisse unterschiedlichster At durchaus vorhanden sind. Es erzählt von der Beziehung der Familienmitgliedern zueinander. Es beleuchtet widersprüchliche Sicht- und Verhaltensweisen auch innerhalb ein- und derselben Person und die Probleme, die daraus erwachsen. Es zeichnet ein buntes Bild der arabischen Welt, lässt aber auch die innere Welt des Autors selbst nicht unerwähnt.

Der Autor: Dr. Burkhard Hofmann, Jahrgang 1954, arbeitet seit 1991 als niedergelassener Facharzt für Psychotherapeutische Medizin im eigener Praxis in Hamburg-Harvestehude. Schon früh kam er über private Beziehungen in Kontakt mit der arabischen Welt, was zu einem größeren Anteil muslimischer Patienten in seiner Praxis führte. Ein Kontakt erbrachte eine Einladung an den Persischen Golf, wo Hofmann seit zehn Jahren regelmäßig Patienten behandelt.

Burkhard Hofmann, Und Gott schuf die Angst, Verlag Droemer 2018, gebunden mit Schutzumschlag, 285 Seiten, 19,99 Euro.

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