Herzliche Grüße
Ihre Sigrid Stephenson
Weihnachtslaune
Copyright Sigrid Ruth Stephenson
Es war einmal eine Stadt,
nicht groß und nicht klein, die lag geborgen
im Land zwischen den Meeren im schönsten Bundesland der Welt. Von zwei Flüssen
wurde die Stadt durchzogen, der Gute und der Laune. Und weil das so war, nannte
man sie die Gute-Laune-Stadt. „Wir wollen nirgends anders leben“, sagten die
Menschen, die dort wohnten. Und die, die etwas anderes dachten, behielten es
für sich.
Jedes Jahr um die
Weihnachtszeit wurde ein großer Baum auf dem Marktplatz aufgestellt. Erst war er
dunkel, aber an einem bestimmten Tag tauchten wie aus dem Nichts viele, viele
Kinder mit ihren Eltern auf, um Licht in die Zweige zu bringen. Eine überaus gut
gelaunte Tanzlehrerin setzte das Mikrofon an die Lippen und forderte die Kinder
auf, kräftig zu tanzen, um Strom zu erzeugen. Das taten die Kinder, aber der
Baum blieb dunkel. „Mehr!“ rief die Lehrerin. „Ihr müsst fester tanzen! Zeigt
mir eure Weihnachtslaune!“ Das taten die Kinder. Und plötzlich wurde es ganz
wunderbar hell – im Baum und in den Herzen der Menschen. Auch deren Ohren ging
es gut, denn eine Band in prächtigen Gewändern machte wundervolle Musik mit
Trommeln und Schellen und allerlei mehr. Schon fingen die großen Leute an, Punsch
zu trinken und fröhlich Bratwürste mit den kleinen Leuten zu teilen. Alle
redeten miteinander und bekamen bei alldem einfach schrecklich gute Laune.
Plötzlich jedoch fing ein
Kind an zu weinen. „Der Weihnachtsmann! Wir haben vergessen, den Weihnachtsmann
zu wecken!“
„Oh Gott, ja ...!“
Im Nu war die Aufregung
groß, denn der Weihnachtsmann schlief gewöhnlich so tief, dass er Weihnachten
verschlafen könnte. Aber wo war er überhaupt? Zum Glück wussten alle, was zu
tun war. Ein Feuerwehrmann schwenkte so lange den Suchscheinwerfer über die
Hausfassaden und die Kinder riefen so laut nach dem Weihnachtsmann und die Band
in den prächtigen Gewändern spielte so lange „Nikolaus, komm in unser Haus“, bis
sie ihn endlich gefunden hatten, den Heiligen Mann. „Da oben! Da oben ist
er!!!“
In seinem roten Mantel
mit dem breiten schwarzen Gürtel stand er rundbäuchig allein an einem Fenster
und sah hinab. Dann winkte er. Fröhlich sah er nicht aus. Eigentlich geradezu
übellaunig. Als sei ihm ein Heer von Weihnachtsläusen über die Leber gelaufen.
„Seht ihr das nicht? Der
Weihnachtsmann braucht Hilfe“, rief ein alter Mann aufgeregt und schwenkte
seinen Stock. „Ihr müsst ihn retten, sonst findet er uns nicht ...!“
Schnell fuhr ein
Feuerwehrmann im Leiterkorb nach oben, half dem Weihnachtsmann hinein und fuhr
mit ihm hinab.
„Hohohoho!“ rief der Heilige
Mann gähnend und reckte sich. „Wo zum Teuf..., eh, um Himmels willen bin ich
hier? Ich muss wohl eingeschlafen sein. Jetzt weiß ich gar nicht, wo ich bin. Weiß
nicht mal mehr, wie ich heiße ...!“
„Auf der Erde bist du, du
Dummi!“ rief ein kleiner Junge mit roten Borstenhaaren.
„Du bist der
Weihnachtsmann, das sieht man doch!“ schrie ein nicht mehr ganz so kleines schwarzhaariges
Mädchen mit einem Silberring in der Nase.
„Du bist zu spät dran!“
wetterte eine Hochtoupierte und stemmte die Hände in die Hüften.
Der Weihnachtsmann, der seine
Weihnachtslaune plötzlich wiedergefunden hatte, lachte. „Auf der Erde? Das freut mich aber. Muss ja dringend die ganzen Bestellscheine
für die Himmelswerkstatt einsammeln. - Habt ihr eure Wunschzettel dabei,
Kinder?“
„Jaaa!!!“ Viele, viele Hände
reckten bunt bemalte Zettel in die Höhe.
„Und was ist mir dir?“
Der Weihnachtsmann zeigte auf ein kleines, blondes, dünnes, blasses, ein
bisschen traurig aussehendes Mädchen, das weit vorn und doch ein wenig abseits
stand.
„Ich hab‘ keinen.“
„Du hast keinen? - Wünschst du dir denn nichts?“
„Doch. Ein Tier. Aber ich
kriege keine Geschenke und außerdem haben wir keinen Platz.“
„Aber alle Kinder
bekommen Geschenke zu Weihnachten.“
„Ich aber nicht“, beharrte
das Mädchen. „Meine Eltern haben Wichtigeres zu bezahlen und dich gibt es
sowieso nicht.“
„Was? Wie? Mich gibt es
nicht? Na, dann komm mal näher...“ Der Heilige Mann ließ sich ächzend auf den
goldenen Stuhl fallen, den man ihm hingestellt hatte.
Das Mädchen zog die
Schultern hoch. Es sah ängstlich aus. Aber neugierig war es auch und so machte
es einen Schritt nach vorn. „Ich helfe dir“, sagte der Bürgermeister, packte es
um die Taille und hob es auf die Bühne.
„Und wie heißt du?“ Der Rotmantelige
zog das Mädchen auf seinen Schoß.
„Chantal Yvonne Meier“,
flüsterte das Mädchen.
„Lauter bitte. Ich hör
nicht mehr so gut ...!“
„Chantal Yvonne Meier!“
rief das Mädchen nun laut und es klang fast ein bisschen trotzig.
Einige Menschen lachten
hinter vorgehaltener Hand. Der Weihnachtsmann hob tadelnd die Brauen.
„Das ist aber ein schöner
Name. Und in welcher Stadt bin ich hier, Chantal? Steht eure Stadt auf meiner
Liste, nehme ich eure Wunschzettel mit. - Und du darfst schnell noch einen
schreiben, ja?“
Chantal wand sich auf dem
Schoß des Weihnachtsmanns. „Lass mich!!“ Vorsichtig stellte er sie auf die
Füße.
„Nun sag schon, wo bin
ich?“ Chantal kämpfte sichtlich mit den Tränen und schwieg.
„Du bist in der
Gute-Laune-Stadt!“ riefen die großen und die kleinen Leute, lachten und
klatschten in die Hände.
„Gute-Laune-Stadt? Nie
gehört ...!“ Der Weihnachtsmann blätterte in seiner Liste. „Gute Laune, gute
Laune ... Nicht zu finden. Ich höre jetzt immer nur von schlechter Laune. Von Hetze
und zu vielen Keksen. Von Ärger über Weihnachtsgans-Preise und das Gedrängel in
den Geschäften. Von zu viel Arbeit und Unfrieden in den Familien.“ Das Gesicht des
Weihnachtsmanns war rot wie sein Mantel geworden. „Nur wegen des verdammten Ärgers
brauchen die Menschen in den Schlechte-Laune-Städten Geschenke – sie brauchen
Trost!“ Er zog eine silberne Brille heraus und sah noch einmal nach. „Es hilft
nichts. Eure Stadt steht hier nicht.“ Dann stieß er einen Pfiff aus. Im Nu
landete ein Schlitten mit sechs Rentieren genau vor seinen Füßen. „Ich muss
weiter. Tut mir Leid!“
„Nein, bitte nicht!“
schrien die Kinder. „Wir brauchen doch auch Geschenke!!!“
„Aber das kann nicht sein.
Ihr seid ja schon glücklich. Immer gute Laune in der ganzen Stadt. Das ist doch
einfach wunderbar. Auf Wiedersehn! - Hohohoho!“
Schon eilte der
Bürgermeister auf die Bühne, entriss der Tanzlehrerin das Mikrofon und rief: „Halt,
Stop, heiliger Mann! - Weihnachten ohne Geschenke, das geht gar nicht! Außerdem,
eh, gibt es sogar bei uns nicht ganz so gut gelaunte, eh, also ... “
Der Weihnachtsmann
kratzte sich am Bart. „Nun ja, ich sehe ein“, er blickte Chantal an, „dass es auch
hier Menschen gibt, denen es nicht ganz so gut geht. Die haben vielleicht Grund
zu ein bisschen schlechterer Laune.“
Der Bürgermeister warf
sich in die Brust. „Aber die vergessen wir nicht. Wir kümmern uns um sie. So
viele Vereine und Verbände und Privatpersonen ...“
„Das ist gut, sehr gut
ist das!“ lobte der Weihnachtsmann.
„Aber es scheint noch nicht genug zu sein. Ein kleines Mädchen, das
nicht mehr an Geschenke glaubt. Tz, tz, tz ... - Vielleicht sollte ich im
Himmelsbüro darum bitten, dass Kinder wie Chantal auf die Liste gesetzt werden.
Die bekommen dann Trost-Geschenke, nur die anderen nicht.“
Einige Kinder begannen zu
heulen und die Erwachsenen sahen einander betroffen an. „Ich will aber diesen Ring
haben“, raunte eine junge Frau ihrem Mann zu und küsste ihn auf die Wange. „Ich
brauche aber dieses Smartphone! Alle in meiner Klasse haben so eines!“ rief ein
Junge in schick bedruckter Jacke. „Weihnachten ohne Geschenke ist mega-blöd!“
rief ein krausköpfiger Jugendlicher.
Der Weihnachtsmann
massierte sich das Kinn. „Was soll ich denn jetzt tun? – Ich kann doch nicht
alles für euch regeln. Lasst euch mal selbst was einfallen!“
Ein großes Gemurmel
setzte ein. Alle redeten durcheinander, überlegten dieses und schlugen jenes
vor. Endlich trat einer als Sprecher nach vorn. „Es gibt hier eine Familie, die
Chantal gern mal zum Pony-Reiten einladen würde“, sagte er. Chantal hob den
Blick. „Ich habe einen jungen Hund, der würde sich freuen, wenn Chantal mit ihm
spazieren ginge“, sagte eine alte Dame mit einem weißen Fellknäuel auf dem Arm.
Chantal riss die Augen auf. „Und ich zeige für Chantal und alle ihre Freunde
und Freundinnen ‚Susi und Strolch‘ im Kino – kostenlos!“ sagte ein Mann, der
sehr freundlich aussah. Jetzt lächelte Chantal. Geradezu strahlend. In der Tat:
Sie sah plötzlich ausgesprochen gut gelaunt aus - und passte endlich in ihre
Stadt.
„Hohohoho“, sagte der
Weihnachtsmann, „hab ich’s doch gewusst.“ Winkend flog er davon.
Die großen und kleinen
Leute sahen ihm ein wenig ratlos nach. Aber dann fiel ihnen ein, dass die
Weihnachtsfreude eigentlich noch viel wichtiger war als die Geschenke. Und dass
Freude, die man anderen gibt, ins eigene Herz zurückkehrt. Und wer weiß,
vielleicht würde der Weihnachtsmann ihre Stadt ja doch noch auf die Liste
setzen.
Der Weihnachtsmann flog
derweil sinnend durch den Himmel. Vielleicht sollte ich die Gute-Laune-Stadt
doch auf die Liste setzen lassen, überlegte er. Gut möglich, dass ich es tue. Sehr
gut möglich. Hoho! Ho! Ho!
.
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