Sonntag, 24. Dezember 2017

Weihnachtslaune - ein Weihnachtsmärchen von Sigrid Ruth Stephenson

Ausnahmsweise gibt es an dieser Stelle einmal keine Buchrezension, sondern ein Weihnachtsmärchen aus eigener Feder, verbunden mit den besten Wünschen für ein schönes Weihnachtsfest!
Herzliche Grüße
Ihre Sigrid Stephenson



Weihnachtslaune
Copyright Sigrid Ruth Stephenson
Es war einmal eine Stadt, nicht groß und nicht  klein, die lag geborgen im Land zwischen den Meeren im schönsten Bundesland der Welt. Von zwei Flüssen wurde die Stadt durchzogen, der Gute und der Laune. Und weil das so war, nannte man sie die Gute-Laune-Stadt. „Wir wollen nirgends anders leben“, sagten die Menschen, die dort wohnten. Und die, die etwas anderes dachten, behielten es für sich.
Jedes Jahr um die Weihnachtszeit wurde ein großer Baum auf dem Marktplatz aufgestellt. Erst war er dunkel, aber an einem bestimmten Tag tauchten wie aus dem Nichts viele, viele Kinder mit ihren Eltern auf, um Licht in die Zweige zu bringen. Eine überaus gut gelaunte Tanzlehrerin setzte das Mikrofon an die Lippen und forderte die Kinder auf, kräftig zu tanzen, um Strom zu erzeugen. Das taten die Kinder, aber der Baum blieb dunkel. „Mehr!“ rief die Lehrerin. „Ihr müsst fester tanzen! Zeigt mir eure Weihnachtslaune!“ Das taten die Kinder. Und plötzlich wurde es ganz wunderbar hell – im Baum und in den Herzen der Menschen. Auch deren Ohren ging es gut, denn eine Band in prächtigen Gewändern machte wundervolle Musik mit Trommeln und Schellen und allerlei mehr. Schon fingen die großen Leute an, Punsch zu trinken und fröhlich Bratwürste mit den kleinen Leuten zu teilen. Alle redeten miteinander und bekamen bei alldem einfach schrecklich gute Laune.
Plötzlich jedoch fing ein Kind an zu weinen. „Der Weihnachtsmann! Wir haben vergessen, den Weihnachtsmann zu wecken!“
„Oh Gott, ja ...!“
Im Nu war die Aufregung groß, denn der Weihnachtsmann schlief gewöhnlich so tief, dass er Weihnachten verschlafen könnte. Aber wo war er überhaupt? Zum Glück wussten alle, was zu tun war. Ein Feuerwehrmann schwenkte so lange den Suchscheinwerfer über die Hausfassaden und die Kinder riefen so laut nach dem Weihnachtsmann und die Band in den prächtigen Gewändern spielte so lange „Nikolaus, komm in unser Haus“, bis sie ihn endlich gefunden hatten, den Heiligen Mann. „Da oben! Da oben ist er!!!“
In seinem roten Mantel mit dem breiten schwarzen Gürtel stand er rundbäuchig allein an einem Fenster und sah hinab. Dann winkte er. Fröhlich sah er nicht aus. Eigentlich geradezu übellaunig. Als sei ihm ein Heer von Weihnachtsläusen über die Leber gelaufen.
„Seht ihr das nicht? Der Weihnachtsmann braucht Hilfe“, rief ein alter Mann aufgeregt und schwenkte seinen Stock. „Ihr müsst ihn retten, sonst findet er uns nicht ...!“
Schnell fuhr ein Feuerwehrmann im Leiterkorb nach oben, half dem Weihnachtsmann hinein und fuhr mit ihm hinab.
„Hohohoho!“ rief der Heilige Mann gähnend und reckte sich. „Wo zum Teuf..., eh, um Himmels willen bin ich hier? Ich muss wohl eingeschlafen sein. Jetzt weiß ich gar nicht, wo ich bin. Weiß nicht mal mehr, wie ich heiße ...!“
„Auf der Erde bist du, du Dummi!“ rief ein kleiner Junge mit roten Borstenhaaren.
„Du bist der Weihnachtsmann, das sieht man doch!“ schrie ein nicht mehr ganz so kleines schwarzhaariges Mädchen mit einem Silberring in der Nase.
„Du bist zu spät dran!“ wetterte eine Hochtoupierte und stemmte die Hände in die Hüften.
Der Weihnachtsmann, der seine Weihnachtslaune plötzlich wiedergefunden hatte, lachte. „Auf der Erde? Das freut  mich aber. Muss ja dringend die ganzen Bestellscheine für die Himmelswerkstatt einsammeln. - Habt ihr eure Wunschzettel dabei, Kinder?“
„Jaaa!!!“ Viele, viele Hände reckten bunt bemalte Zettel in die Höhe.
„Und was ist mir dir?“ Der Weihnachtsmann zeigte auf ein kleines, blondes, dünnes, blasses, ein bisschen traurig aussehendes Mädchen, das weit vorn und doch ein wenig abseits stand.
„Ich hab‘ keinen.“
„Du hast keinen?  - Wünschst du dir denn nichts?“
„Doch. Ein Tier. Aber ich kriege keine Geschenke und außerdem haben wir keinen Platz.“
„Aber alle Kinder bekommen Geschenke zu Weihnachten.“
„Ich aber nicht“, beharrte das Mädchen. „Meine Eltern haben Wichtigeres zu bezahlen und dich gibt es sowieso nicht.“
„Was? Wie? Mich gibt es nicht? Na, dann komm mal näher...“ Der Heilige Mann ließ sich ächzend auf den goldenen Stuhl fallen, den man ihm hingestellt hatte.
Das Mädchen zog die Schultern hoch. Es sah ängstlich aus. Aber neugierig war es auch und so machte es einen Schritt nach vorn. „Ich helfe dir“, sagte der Bürgermeister, packte es um die Taille und hob es auf die Bühne.
„Und wie heißt du?“ Der Rotmantelige zog das Mädchen auf seinen Schoß.
„Chantal Yvonne Meier“, flüsterte das Mädchen.
„Lauter bitte. Ich hör nicht mehr so gut ...!“
„Chantal Yvonne Meier!“ rief das Mädchen nun laut und es klang fast ein bisschen trotzig.
Einige Menschen lachten hinter vorgehaltener Hand. Der Weihnachtsmann hob tadelnd die Brauen.
„Das ist aber ein schöner Name. Und in welcher Stadt bin ich hier, Chantal? Steht eure Stadt auf meiner Liste, nehme ich eure Wunschzettel mit. - Und du darfst schnell noch einen schreiben, ja?“
Chantal wand sich auf dem Schoß des Weihnachtsmanns. „Lass mich!!“ Vorsichtig stellte er sie auf die Füße.
„Nun sag schon, wo bin ich?“ Chantal kämpfte sichtlich mit den Tränen und schwieg.
„Du bist in der Gute-Laune-Stadt!“ riefen die großen und die kleinen Leute, lachten und klatschten in die Hände.
„Gute-Laune-Stadt? Nie gehört ...!“ Der Weihnachtsmann blätterte in seiner Liste. „Gute Laune, gute Laune ... Nicht zu finden. Ich höre jetzt immer nur von schlechter Laune. Von Hetze und zu vielen Keksen. Von Ärger über Weihnachtsgans-Preise und das Gedrängel in den Geschäften. Von zu viel Arbeit und Unfrieden in den Familien.“ Das Gesicht des Weihnachtsmanns war rot wie sein Mantel geworden. „Nur wegen des verdammten Ärgers brauchen die Menschen in den Schlechte-Laune-Städten Geschenke – sie brauchen Trost!“ Er zog eine silberne Brille heraus und sah noch einmal nach. „Es hilft nichts. Eure Stadt steht hier nicht.“ Dann stieß er einen Pfiff aus. Im Nu landete ein Schlitten mit sechs Rentieren genau vor seinen Füßen. „Ich muss weiter. Tut mir Leid!“
„Nein, bitte nicht!“ schrien die Kinder. „Wir brauchen doch auch Geschenke!!!“
„Aber das kann nicht sein. Ihr seid ja schon glücklich. Immer gute Laune in der ganzen Stadt. Das ist doch einfach wunderbar. Auf Wiedersehn! - Hohohoho!“
Schon eilte der Bürgermeister auf die Bühne, entriss der Tanzlehrerin das Mikrofon und rief: „Halt, Stop, heiliger Mann! - Weihnachten ohne Geschenke, das geht gar nicht! Außerdem, eh, gibt es sogar bei uns nicht ganz so gut gelaunte, eh, also ... “
Der Weihnachtsmann kratzte sich am Bart. „Nun ja, ich sehe ein“, er blickte Chantal an, „dass es auch hier Menschen gibt, denen es nicht ganz so gut geht. Die haben vielleicht Grund zu ein bisschen schlechterer Laune.“
Der Bürgermeister warf sich in die Brust. „Aber die vergessen wir nicht. Wir kümmern uns um sie. So viele Vereine und Verbände und Privatpersonen ...“
„Das ist gut, sehr gut ist das!“ lobte der Weihnachtsmann.  „Aber es scheint noch nicht genug zu sein. Ein kleines Mädchen, das nicht mehr an Geschenke glaubt. Tz, tz, tz ... - Vielleicht sollte ich im Himmelsbüro darum bitten, dass Kinder wie Chantal auf die Liste gesetzt werden. Die bekommen dann Trost-Geschenke, nur die anderen nicht.“
Einige Kinder begannen zu heulen und die Erwachsenen sahen einander betroffen an. „Ich will aber diesen Ring haben“, raunte eine junge Frau ihrem Mann zu und küsste ihn auf die Wange. „Ich brauche aber dieses Smartphone! Alle in meiner Klasse haben so eines!“ rief ein Junge in schick bedruckter Jacke. „Weihnachten ohne Geschenke ist mega-blöd!“ rief ein krausköpfiger Jugendlicher.
Der Weihnachtsmann massierte sich das Kinn. „Was soll ich denn jetzt tun? – Ich kann doch nicht alles für euch regeln. Lasst euch mal selbst was einfallen!“
Ein großes Gemurmel setzte ein. Alle redeten durcheinander, überlegten dieses und schlugen jenes vor. Endlich trat einer als Sprecher nach vorn. „Es gibt hier eine Familie, die Chantal gern mal zum Pony-Reiten einladen würde“, sagte er. Chantal hob den Blick. „Ich habe einen jungen Hund, der würde sich freuen, wenn Chantal mit ihm spazieren ginge“, sagte eine alte Dame mit einem weißen Fellknäuel auf dem Arm. Chantal riss die Augen auf. „Und ich zeige für Chantal und alle ihre Freunde und Freundinnen ‚Susi und Strolch‘ im Kino – kostenlos!“ sagte ein Mann, der sehr freundlich aussah. Jetzt lächelte Chantal. Geradezu strahlend. In der Tat: Sie sah plötzlich ausgesprochen gut gelaunt aus - und passte endlich in ihre Stadt.
„Hohohoho“, sagte der Weihnachtsmann, „hab ich’s doch gewusst.“ Winkend flog er davon.
Die großen und kleinen Leute sahen ihm ein wenig ratlos nach. Aber dann fiel ihnen ein, dass die Weihnachtsfreude eigentlich noch viel wichtiger war als die Geschenke. Und dass Freude, die man anderen gibt, ins eigene Herz zurückkehrt. Und wer weiß, vielleicht würde der Weihnachtsmann ihre Stadt ja doch noch auf die Liste setzen.
Der Weihnachtsmann flog derweil sinnend durch den Himmel. Vielleicht sollte ich die Gute-Laune-Stadt doch auf die Liste setzen lassen, überlegte er. Gut möglich, dass ich es tue. Sehr gut möglich. Hoho! Ho! Ho!
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