In ihrem Buch "Ungezähmt" zeigt Glennon Doyle, was geschehen kann, wenn Frauen aufhören, ständig das zu tun, was andere von ihnen erwarten, es endlich aufgeben, sich selbst zu vernachlässigen, nur um geliebt zu werden. Ganz schön viel tun für die Liebe - welche Frau würde sich in dieser Beschreibung nicht wiederfinden? Ich jedenfalls tue es, trotz manch guter Entwicklungsschritte, tendenziell immer noch - auch wenn mein Lebensgefährte das vermutlich anders sieht. Aber die unterschwellige Angst ist groß. Was wäre schlimmer, als nicht mehr geliebt zu werden ...?
Die Bestsellerautorin Glennon Doyle, die schon als zehnjähriges Mädchen unbedingt "gut" sein wollte, ist seit Jahren trockene Alkoholikerin. Sie nimmt heute keine Drogen mehr und tröstet sich höchstens noch mit "schlechtem Fernsehen". Heute fühlt sie sich von Herzen geliebt, allerdings ganz anders als gedacht. Nach einem konventionellen Familienleben (mit einem ungetreuen Ehemann) hat sie sich, für sie selbst überraschend, für die Ehe mit einer Frau entschieden. Mit ihr und ihren Kindern lebt sie nun glücklich zusammen. Mitreißend schreibt sie (nicht nur) darüber, wie sie ihre künftige Partnerin zum ersten Mal sah und was danach alles anders wurde und geschah.
"Im Käfig" heißt der erste Teil des Spiegel-Bestsellers, der von Glennon's Leben früher erzählt. Im mehr oder weniger goldenen Käfig habe auch ich mich oft genug gefühlt. So interessiert mich besonders, wie Glennon den "Schlüssel" fand, über den sie im zweiten Teil ihres Buches schreibt, in dem es um Fühlen, Wissen, Imaginieren und (das Alte) Verbrennen lassen geht, damit Neues, Besseres entstehen kann - in sich selbst und in der Welt. Teil drei, der rund drei Viertel des Buches einnimmt, erzählt unter der mir besonders sympathischen Überschrift "Frei" in vielen kleinen, in sich abgeschlossenen Betrachtungen und Anekdoten selbstkritisch und nicht ohne Humor von den Wichtigkeiten, persönlichen Erfahrungen und Einsichten, die dann kommen - bis hin zur mir echt neuen Kunst des Profistreits.
"War das alles nicht viel schöner gemeint?", ist eine der zentralen Fragen, die die Autorin aufwirft. Viele Frauen sind unzufrieden. Wer hätte nicht schon von ewig nörgelnden Frauen gehört. "Ich finde das aufregend", schreibt Glennon, "denn diese Unzufriedenheit ist das Genörgel der Vorstellungskraft." Wichtig sei es, von der daraus erwachsenden Einsicht "Das nicht!" zum "Lieber das!" zu gelangen und nicht unterwegs irgendwo stehenzubleiben. Zu wissen, was frau wirklich will, ist gar nicht so einfach - das wissen wir wohl alle. Da hilft es offenbar, die "Muttersprache der Seele" neu zu erlernen, und das ist statt der Sprache der Indoktrination die der Imagination, womit wir wieder bei der Vorstellungskraft angelangt wären. Stell dir vor, du wärest wirklich glücklich ...!
Die Autorin: Glennon Doyle, Gründerin und Präsidentin von Together Rising, ist als Bestsellerautorin und renommierte Aktivistin bekannt. Oprah Winfrey, Elizabeth Gilbert und Reese Witherspoon gehören zu ihren Unterstützerinnen.
Glennon Doyle, Ungezähmt, Verlag rowohlt Polaris, 351 Seiten, 16 Euro.
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