Montag, 24. September 2018

Hirntumorpatient sucht nach Hilfe bei Wunderheilern, Geblendeten und Scharlatanen

Glauben Sie an Wunderheiler? Ach, Sie wollen zuerst wissen, ob ich daran glaube. Nun, ich weiß nicht so recht. Zumindest bin ich ziemlich neugierig, von Erfahrungen mit ihnen zu hören oder zu lesen. Deshalb finde ich auch das Wort "Wundersuche" von Thomas Bruckner so spannend. Der Untertitel "Von Heilern, Geblendeten und Scharlatanen" klingt schon fast ein wenig beängstigend, aber nicht minder interessant. Letzteres gilt erst recht für den Verfasser des Buches.

Thomas Bruckner, Jahrgang 1971, ein Reporter, sucht nach einer "aller Wahrscheinlichkeit nach gutartigen", aber dennoch bedrohlichen Hirntumordiagnose nach alternativen Heilungsmethoden, anstatt sich, wie von Ärzten empfohlen, operieren zu lassen Er begibt sich auf Reisen - sein Beruf bringt es ohnehin mit sich, mehrere Monate im Jahr auf Reisen zu sein - und trifft dabei auf die irritierende Welt der Heiler und der Heilsuchenden. Er begegnet
  • dem bodenständigen Heiler im Nachbarort, der ihn für 10 Euro behandelt
  • dem Voodoo-Priester in Togo
  • dem Geistchirurgen auf den Philippinen
  • dem Schamanen in Bulgarien
  • (mehrfach) Joao de Deus in Brasilien, dem bekanntesten Medium der Welt, der viele Hilfesuchende im Bruchteil von Sekunden behandelt und andere auf bedrohlich wirkende, sichtbare Weise operiert, oft mit einer in ein Nasenloch eingeführten Schere (zu sehen auf You Tube), und auf unsichtbare Weise Massenoperationen vornimmt, oft völlig abwesend wirkend und mitunter sogar mit verbundenen Augen
  • dem Aurasichtigen
  • dem Handaufleger
  • Leuten, die vorgeben, mit Toten zu kommunizieren
  • dem österreichischen Heiler, der den Tumor für eine harmlose Zyste hält oder auch
  • Herrn Vogel, der mit Röntgenblick ganz viele Details erkennt - in Bezug auf seine Gesundheit, aber auch auf persönliche Lebensumstände, so dass Bruckner nur noch fragen kann: "Woher wissen Sie das alles?" "Ich sehe es." Er könne den Gesundheitszustand aller Menschen sehen, sagt er, selbst über Fotos. Aber er dürfe nur mit deren Zustimmung darüber reden. Der Hirntumorpatient fragt nach seinem Kopf. "Unauffällig", lautet die "Diagnose". Als Bruckner sich endlich verärgert als Journalist outet und die meisten Aussagen des Röntgenmannes, wie etwa die Tatsache, dass er zwei Kinder habe, als völlig falsch bezeichnet, redet Herr Vogel sich in aller Dreistigkeit heraus. ...
Bei all seinen - oft genug skurril wirkenden - Erlebnissen bleibt der ausgebildete Sozialpädagoge,  ehemaliger Snowboardprofi und Aufdeckungsjournalist ein Zweifelnder. Zugleich aber ist er fasziniert. Er lässt sich auf sehr vieles ein und stößt an die Grenzen des Fassbaren. Seine Erfahrungen lehren ihn den Glauben an die Hoffnung. Ob Bruckner Heilung findet oder nicht, soll hier nicht verraten werden.

Thomas Bruckner - Wundersuche - Von Heilern, Geblendeten und Scharlatanen, Picus-Verlag 2018, gebunden mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 22 Euro.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen