"Weil ich mich hasse" heißt der neue Roman von Kai Lüdders. Was für ein Titel für einen Lebensfreude-Bücher-Blog, könnte man meinen, auf den ersten Blick. Und doch passt es - irgendwie. Die 174 Seiten sind schnell gelesen. Das Buch setzt auf Spannungsaufbau, der in einem temporeichen Showdown am Ende des Werkes seinen über Seiten andauernden Höhepunkt erfährt. Man leidet mit, ist am Ende froh, das beschriebene Schicksal selbst nicht erlebt zu haben und bekommt zugleich Mitgefühl mit allen Kindern, die noch zu jung und unerfahren sind, um sich zu wehren, geschweige denn, sich selbst zu verstehen, und nicht zuletzt mit sich selbst. Die Frage, was in der eigenen Kindheit Schlimmes passiert sein mag, kommt da fast automatisch.
Lüdders schrieb den Roman aus zwei Perspektiven heraus: der der Ich-Figur (Hauptperspektive) und, kursiv gedruckt, der der Tochter des Protagonisten. Der Ich-Erzähler ist Ben, 39 Jahre alt, Schriftsteller und glücklich verheirateter Familienvater. Mit sich selbst glücklich ist er leider gar nicht, denn da ist etwas zunächst Unfassbares, das ihn immer wieder bedroht und leiden lässt. Wer dieser "er" ist, der in dieser anonymen Form ein wenig über Gebühr oft bemüht wird, kann man nicht ohne weiteres verstehen; man kann es allenfalls erahnen. Mit "ihm" ist Ben ständig im Clinch. Ist "er" der Selbsthass, unter dem Ben leidet, ohne zu wissen, warum? Und was hat das damit zu tun, dass in Bens Familie niemals Weihnachten gefeiert wurde? Und wieso mögen die Eltern Bens Bruder offenbar lieber als ihn?
Es geht um tiefe Verunsicherung und Selbstablehnung, die am Ende des Buches absolut plausibel erscheinen. Erfahrbar wird auch die etwas hilflose Liebe zwischen Bens Vater und seinem Sohn. Der Vater, der unheilbar an Krebs erkrankt ist, dem der Sohn nun endlich einmal wirklich begegnen, den er kennenlernen will, bevor es zu spät ist. Zugleich ist der hochbegabte Ben (eine Begabung, die für die Handlung im Grunde kaum eine Rolle spielt) auf der Suche nach Erklärungen, nach seinem Seelenfrieden.
Hier und da hätten ein paar Klischees weniger zu Gunsten konkreter Beschreibungen und starker Adjektive gut getan. Ein Beispiel: "Minutenlang saßen wir stumm an unserem Tisch in einem schönen Restaurant an einem der tollsten Plätze Berlins, die Menschen wirbelten um uns herum, die Kellnerin zog mehrfach grantig ab, weil wir nichts zu essen bestellten und sie quasi ignorierten."
Die dennoch mitreißende Suche führt von Hamburg nach Berlin, über Kreuzberg, Schmarendorf, Wannsee bis nach Usedom. In Ben tauchen im Laufe dieser letzten Reise an der Seite seines Vaters immer mehr lange verdrängte Erinnerungen auf und endlich erzählt sein Vater, dessen Erkrankung nur eine Nebenrolle spielt, ihm die ganze bittere Wahrheit. Von einer Zeit, die nur kurz gewesen war und doch so viel veränderte:
"Fünf Tage? Es war eine Ewigkeit! Niemals fünf Tage!", schrie ich ihn an.
"Fünf Tage, Es tut mir so leid." Er versuchte, seine Hand auf meine Schulter zu legen. ..."
"Es war eine Ewigkeit", sagte ich leise ...
Spannend ...!
Der Autor: Kai Lüdders, Jahrgang 1977, Hamburger, Jurist und Politologe. In seinen Büchern behandelt er aktuelle gesellschaftliche und politische Themen.
Kai Lüdders, Weil ich mich hasse, Velum-Verlag 2019, Paperback, 9,99 Euro.
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